Übergang von der Schule ins Berufsleben: Wie erleben betroffene junge Menschen den Übergang? - Teil 1/2
Übergänge sind stetige Begleiter in unserem Leben. Immer wieder treffen wir auf Brücken, Kreuzungen und Tunnels im direkten sowie auch im übertragenen Sinne. Stellenwechsel, Geburtstage, Abschiede und Neuanfänge organisieren sich im Kontext von Übergängen. Vom Alten ins Neue, vom Bisherigen ins Zukünftige, vom Bekannten ins Unbekannte trifft jeder Mensch früher oder später auf die Frage: was jetzt?
Quo vadis? Bereits in den alten Schriften als Frage aufgeworfen, meist im Kontext von Skepsis und Besorgnis im Sinne von «wohin wird dies führen?», aber in der eigentlichen Direktüber-setzung aus dem Lateinischen zu «wohin gehst du?». Im Bildungswerdegang eines Kindes stellt sich die Frage mit grosser Vehemenz und spätestens ab dem Eintritt ins achte Schuljahr bzw. in die zweite Sekundarstufe. Wohin soll es gehen mit der beruflichen Zukunft, was interessiert, welche Lehre könnte es werden?
Der Start in die Berufsfindung, die leise Ankündigung eines der prägnantesten Übergänge im Leben eines Menschen – das Erwachsenwerden, der Übergang vom Kindsein in die Gesellschaft der Mündigen. Die Frage der Passgenauigkeit in die wirtschaftliche Realität ausserhalb der Schulblase, das Abstecken eines Lebenskonzepts.
Zum Zeitpunkt des Beginns des Berufsfindungsprozesses haben Jugendliche gerade den Schritt gemacht vom Kind zum Teenager, sind dreizehn Jahre alt und haben sich natürlich bereits vorher, informeller, unstrukturierter mit dem Thema konfrontiert gesehen. Die Frage «was willst du einmal werden?» wird gerne auch schon sechsjährigen Kindern gestellt, die in Bezug auf Lebens- und Berufsbildungskonzepte noch viel weiter von Realvorstellungen weg sind.
Doch ist ein Mensch im Alter von vierzehn Jahren bereit, grundlegende Entscheidungen zu seiner Zukunft im Rahmen von hunderten Wahlmöglichkeiten, Angeboten und Informationen zu treffen? Was wenn nicht?
Wir haben uns der Frage gewidmet, welche Risiken und Chancen der Übergang von Schule ins Berufsleben birgt. Aus der Wissenschaft, aber insbesondere im Austausch mit Expert:innen verschiedener Berufsgruppen aus dem Bereich «Jugend und junge Erwachsene» wurde uns bestätigt, was wir im Arbeitsintegrationsprogramm bei durchstart täglich wahrnehmen: Komplexität und Häufigkeit von psychischen Problemlagen bei jungen Menschen nehmen zu.
Fachstudien weisen aus, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die keine Anschlusslösung nach der obligatorischen Schulzeit finden oder diese in deren Verlauf abbrechen, eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber psychischen Erkrankungen aufweisen. Dabei haben wir im Prozess den konkreten Übergang von der Schulzeit ins Berufsleben als besonders kritisch identifiziert und dessen Gestaltung in den Fokus gerückt.
Betroffene Jugendliche teilen ihre Erfahrungen im World Café
Mit der Methode «World Café» haben wir uns mit Experten im Bereich der Übergänge von der Schule ins Berufsleben zusammengesetzt - mit den betroffenen jungen Teilnehmer:innen von durchstart.
Jeder von uns hat aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen eine eigene Sichtweise auf das Thema. Nur wenn wir die einzelnen Sichtweisen kennen und verstehen, haben wir ein akkurates Bild des Ganzen. Die Methode «World Café» erlaubt ein Thema von allen möglichen Perspektiven zu erkunden, indem sich alle Teilnehmenden in einer sicheren und gemütlichen Atmosphäre gleichermassen an einem offenen Austausch beteiligen und neue Erkenntnisse erfahren. So kann das kollektive Wissen von allen zusammengetragen werden.
Dafür wird an drei Tischen je eine Frage aufgelegt, zu welcher sich die Tisch-Partizipant:innen austauschen und die Ergebnisse des Gesprächs notieren. Nach 20 Minuten findet ein Wechsel statt, die Teilnehmer:innen mischen sich durch und gehen an einen anderen Tisch mit einer anderen Fragestellung. Nach drei Durchgängen werden die Ergebnisse «geerntet», zusammengetragen und ausgewertet.
Mit den betroffenen Programm-Teilnehmer:innen von durchstart haben wir uns auf die folgenden drei Fragestellungen fokussiert:
Was läuft im System gut?
Was läuft im System nicht gut?
Was hättest du benötigt bzw. was hat dir gefehlt, um die Übergänge besser zu meistern?
Was wir erfahren haben und was wir mitnehmen - ein Fazit im Überblick
Die Teilnehmer:innen stellen fest, dass sie alle Ähnliches erlebt haben; sie waren zu jung, um nachhaltige Entscheidungen zu treffen, standen darin vor zu vielen Möglichkeiten und konnten sich das Berufsleben nicht vorstellen. Massgebende Faktoren in diesem Kontext sind Druck, Stress, mangelnde Unterstützung und das fehlende Verständnis von beteiligten Personen (Eltern, Lehrer:innen).
Das System wird als «facettenreich» beschrieben. Die Diversität an Optionen und Unterstützungsleistungen wird als sehr gross empfunden, was zu einer Verwirrung führt. Dabei wurde auch hervorgehoben, dass der schulische Bewertungsdruck, die Orientierung an der grundsätzlichen Leistungsfähigkeit und der Mangel an Rücksicht bzw. Verständnis seitens Systems prägnante Probleme darstellen. Viele fühlen sich allein und nicht wahr- und ernstgenommen in ihren psychischen Herausforderungen. Sie stellen fest, dass Kompetenzen für den Umgang mit Stressoren wie Druck, Überforderung und Leistungsanspruch während der Schulzeit zu wenig aufgebaut werden.
Weiter wurde geäussert, dass sich selten an den Ressourcen der Kinder und Jugendlichen orientiert wird, aus gesellschaftlicher Perspektive die Probleme und Herausforderungen der jungen Menschen banalisiert oder diffamiert werden sowie fest davon ausgegangen wird, dass von zuhause bzw. vom familiären System der nötige Support aber vorhanden ist. Natürlich haben wir uns nicht nur darauf konzentriert, wo die Mängel im System erkannt werden, sondern auch was gut läuft. Auch hier haben wir eine interessante Meinungsdiversität abgeholt. Diese weist aus, dass die jungen Menschen durchaus fähig sind Ressourcen zu erkennen.
Das soziale Unterstützungssystem in der Schweiz mit den vielen Möglichkeiten und Ressourcen, die zur Verfügung stehen, wird grundsätzlich als hilfreich empfunden. Dazu gehören Schutzmassnahmen im Kontext von Gewalt (Mobbing, häusliche Gewalt, psychische Gewalt) und die damit verbundenen Institutionen wie Fach- und Anlaufstellen, Telefonhotlines und Behörden. Angebote für schulisch benachteiligte Kinder und Jugendliche sowie die Ressourcen in den schulischen Unterstützungssystemen (SSA, SPD) werden als vielfältig und hilfreich wahrgenommen. Im Kontext der Aussicht auf den Übergang in das Berufslebens wurde geäussert, dass es viele Wege und Möglichkeiten gibt, etwas zu erreichen. Ein «genügsames» Leben sei in der Schweiz möglich, auch mit tiefem Schulniveau oder -abschluss. Es gibt immer Weiterbildungsoptionen, die Lehre kann bei Notwendigkeit oder Bedarf pausiert werden und die Infrastruktur sowie die arbeitsmarktliche Situation (Jugendarbeitslosigkeit, Gesamtarbeitslosigkeit) wird als positiv empfunden.
Was sich junge Menschen für den Übergang ins Berufsleben wünschen
Diese Aussagen zeichnen eine sehr differenzierte Sicht ab. Durch die Methode, an drei Tischen drei Fragestellungen zu bearbeiten und aufgrund der unterschiedlichen Meinungen sind natürlich auch Widersprüche vorhanden. Unabhängig davon verstecken sich aber hinter allen Aussaugen Lösungsvorschläge – und auf diese haben wir uns an einem Tisch im World Café konzentriert. Dabei wurden folgende Punkte hervorgehoben:
Das Thema «Psychische Gesundheit» sollte in der Schule mehr sensibilisiert und entsprechende Kompetenzen dafür aufgebaut werden, auch im Rahmen des Regelunterrichts
Der Übergang von Schule zu Berufsleben sollte stärker und enger begleitet sein, notfalls auch übergreifend nach Schulaustritt
Es braucht mehr Verständnis, Transparenz, Vertrauen und Unterstützung seitens Gesellschaft, Schule und Eltern
Im Berufswahlprozess wird mehr Zeit, weniger Druck und eine umfänglichere Aufklärung als Vorbereitung für den Übergang bzw. den Einstieg ins Berufsleben gewünscht
Bei psychischer Instabilität sollte die Begleitung durch Fachpersonen aus den relevanten Systemen verbessert werden
In der Lehre ist es wichtig, dass Lernende (mehr) wertgeschätzt und in die Arbeit miteinbezogen werden, Kontaktierung ausserhalb der Arbeitszeiten ist ein «No-Go» und die Sensibilisierung auf inhaltliche Themen der Lehre wie auch die Veränderungen, die die Lehre mit sich bringt, sollte mehr thematisiert werden
Die Aussagen sind einerseits alle mit Vorsicht zu geniessen. Sie sind ein breites Potpourri an individuellen Meinungsbildern und nur bedingt repräsentativ. Bei der Betrachtung der Kernaussagen finden sich allerdings Aspekte, die für uns als Fachpersonen relevant sein können. Deshalb lohnt sich ein näherer Blick auf das Thema «Übergänge» durchaus, sei es auch nur, um den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren dieser Thematik zu fördern und fordern. Und genau das haben wir in Angriff genommen.