Übergang von der Schule ins Berufsleben: Was sind die Sichtweisen der Fachexpert:innen? - Teil 2/2
Kommunikation und damit verbunden Kooperation sind zwei der wichtigsten Aspekte in der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Ohne Kooperation und ohne dass wir uns Geschichten erzählen könnten, wären wir immer noch Jäger und Sammler in der weiten Savanne (nach Y. N. Harari). Heute haben wir im Kontext der sozialen Arbeit ein riesiges Netz an Akteuren, das Unterstützungsleistungen für unterstützungsbedürftige Menschen erbringt. Es bedarf nicht der Beobachtung von Schimpansen (was der Wissenschaft Grundlage bietet, um auch mehr zu menschlichen Systemen zu verstehen), um festzustellen, dass die Möglichkeiten zur Kooperation und Kommunikation schwieriger werden, je grösser die Gruppe ist.
Unsere Gesellschaftsstrukturen sind inzwischen so komplex, die Kommunikationswege so weit auseinandergezogen, dass viele Synergien und Energien unterwegs verloren gehen. Die Frage stellt sich demnach heute umso mehr, wie wir Ressourcen, die sich in unserem Fall in der sozialen Arbeit bzw. bei den sozial arbeitenden Berufspersonen befinden, so einsetzen, dass ein bestmöglicher Wirkungsgrad entsteht. Wir von durchstart gehen davon aus, dass eine Optimierung der Vernetzung ein erster, wichtiger Schritt ist, um erwähnte Synergien zu nutzen.
Den bereichsübergreifenden Austausch und die Vernetzung fördern
Deshalb haben wir uns entschieden eine Plattform zu kreieren, bei welcher der Austausch zwischen den verschiedenen Berufspersonen dieser Thematik, die im selben Bereich und mit ähnlich komplexen Problemstellungen arbeiten, stattfinden kann. Einen ersten Anlauf haben wir genommen. Mit Erfolg.
Das Thema, welche Risiken und Chancen der Übergang von Schule ins Berufsleben birgt, haben wir, nachdem wir es mit der Sichtweise der Jugendlichen und jungen Erwachsenen vom durchstart-Programm bearbeitet haben, in ähnlichem Setting mit beteiligten Fachexperten diskutiert. Dabei stand jedoch klar im Mittelpunkt, den Teilnehmer:innen des Anlasses über das Thema eine Möglichkeit zu schaffen, sich mit anderen Professionellen aus der sozialen Arbeit zu vernetzen. Die Diversität an beruflichen Backgrounds unter den Expert:innen war so gross wie die Nachfrage am Anlass teilzunehmen. Das Bedürfnis sich mit Personen auszutauschen, die an den gleichen Thematiken arbeiten wie wir, verspüren offenbar nicht nur die Mitarbeiter:innen von durchstart.
Ganz nach dem Zitat von Walter Matthau «Für ein gutes Tischgespräch kommt es nicht so sehr darauf an, was sich auf dem Tisch, sondern wer sich auf den Stühlen befindet» haben wir ebenfalls mit der Methode des World Cafés gearbeitet. Primäres Ziel war jedoch nicht das Erarbeiten von Lösungen, sondern der Austausch von Erfahrungen, das Kennenlernen von verschiedenen Perspektiven und das Vernetzen unter den diversen Berufsgruppen. Wir haben fast genau die gleichen Fragestellungen auf den Tischen verteilt wie auch bereits in der Runde mit den jungen Menschen vom durchstart-Programm und wollten dabei herausfinden, inwiefern sich die Antworten bzw. Erkenntnisse gleichen oder sie voneinander differieren. Die gewonnenen Erkenntnisse wollen wir hier abbilden. Besonders interessant sind diese im Ab- und Vergleich mit jenen der ersten Runde des World Cafés mit den betroffenen Jugendlichen.
Erkenntnisse aus den Tisch-Diskussionen
Was haben wir dabei festgestellt? Zu Beginn lohnt es sich noch einmal einen Blick auf die konkreten Fragestellungen zu werfen, mit welchen an den Tischen gearbeitet wurde bzw. was dabei stichwortartig auf den Tischen zurückgeblieben ist:
Was läuft gut?
Es gibt viel sozialen Support in der Schule (Hilfssysteme, strukturell)
Es gibt verschiedenste Anlaufstellen für Problematiken im Jugendalter
Wichtig: Bewusstsein schaffen, wie bspw. dieser Anlass
Durch die Möglichkeit der sozialen Medien ist Information zugänglicher
Was nicht läuft gut?
Fehlende Früherkennung
Zeit für junge Erwachsene zu kurz: Stress mit Berufswahl
Fehlende Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaftswelt
Es fehlen entsprechende Netzwerke
Aktives Zuhören: Was braucht ein junger Erwachsener wirklich? Oft wird er in eine Schiene gepresst.
Was brauche ich in meiner Rolle?
Sei mehr wie Pippi – Wild, frech und wunderbar
Zeit
Richtige Hilfsmittel
Eine nationale Plattform mit einer Übersicht, wie es andere tun und was noch möglich ist
Intuition nutzen, weniger Rollendenken
Was brauchen Jugendliche in ihrer Rolle?
Mehr Zeit: Berufswahl mit 14 ist nicht gut
Enge Betreuung beim Übergang
Durchlässigkeit des Systems (Bsp. Sek C-Schüler bleibt Sek C-Schüler)
Coaching im Übergang
Kantönligeist ist schlecht
Finanzierung der Begleitung des Übergangs
Die 5 Hauptthemen: Zeit, Früherkennung, Bewusstsein, Vernetzung und Übergänge
Inwiefern lassen sich die Erkenntnisse allenfalls auch als gesammeltes Wissen in aktive Umsetzung transformieren? Aus den oben erwähnten Stichworten und den dazugehörigen Tischdiskussionen haben wir fünf relevante Erkenntnisbereiche definiert und zusammengefasst: Zeit, Früherkennung, Bewusstsein, Vernetzung und Übergänge. Es fliessen auch die Informationen aus der ersten Durchführung mit den betroffenen Jugendlichen mit in die Themen ein. Die Zusammenfassung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll abbilden, welche Leitthemen im Prozess besprochen wurden und was bei diesen Gesprächen geäussert wurde.
1. ZEIT
Eine der prägnantesten und bestimmt die aus Fachperspektive trivialste Erkenntnis ist, dass zu wenig Zeit vorhanden ist. Zu wenig Zeit für Jugendliche und junge Erwachsene, um sich in dem Umfang um die Berufswahl zu kümmern, in welchem sie es für nötig empfinden. Zeit für involvierte Fachpersonen, um sich den Anliegen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in dem Masse zu widmen, wie es notwendig wäre. Zeit zum Vernetzen und Absprechen zwischen den involvierten Stellen und Zeit, die junge Menschen grundsätzlich brauchen, um sich zu finden, zu entscheiden, anzukommen und weiterzugehen.
Weiterführende Frage
Zeit ist eine Ressource, an welcher es oft mangelt. Woher nehmen wir mehr Zeit, um diese den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu geben?
2. FRÜHERKENNUNG
Einerseits wird das vielfältige Unterstützungsangebot in der Schweiz und vor allem auch an den Schulen als positiv und förderlich empfunden. Um diese Ressourcen optimal zu nutzen, braucht es jedoch klar strukturierte Zusammenarbeit, Vernetzungsarbeit und im Rahmen dessen der Austausch von Perspektiven, Wahrnehmungen und Erfahrungen. Dabei darf nicht vergessen gehen, dass im Zentrum die jungen Menschen stehen. Anstatt sie nur gemäss Richtlinien und klaren Vorstellungen seitens Systems zu begleiten, braucht es Verständnis. Das heisst, es muss genau zugehört werden und seitens Fachpersonen braucht es den Mut, neue Wege zu gehen und unkonventionell, möglichst nach den Bedürfnissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu arbeiten.
Weiterführende Frage
Wie können in Hilfssystemen vorhandene Ressourcen bestmöglich mobilisiert werden?
3. BEWUSSTSEIN
Das Bewusstsein für die Problematik der Übergänge bei jungen Erwachsenen scheint hoch zu sein. Die Themen werden benannt und es sind auch Lösungsvorschläge vorhanden. Sowohl bei den jungen Menschen als auch bei den Fachexperten scheint evident, wo die Probleme zu verorten sind, wie diesen begegnet werden kann und vielleicht auch bereits wird. Dabei ist einfacher darauf hinzuweisen, was nicht gut läuft und es fällt leichter die Mängel im System hervorzuheben, als die positiven Aspekte zu benennen. Die Steigerung des Bewusstseins für die Problematik, aber auch für die Lösungsansätze kann und soll durch den Dialog stattfinden – zwischen Betroffenen und Fachleuten, zwischen verschiedenen Fachbereichen, Generationen, Milieus. Also grundsätzlich möglichst multilateral im bereits erwähnten Dreieck von Perspektive, Wahrnehmung und Erfahrung. Dabei kann schon hilfreich sein, zu wissen, was andere Akteure im Bereich leisten, wie sie an Themen herangehen und welche Arbeitsweisen angewendet werden.
Weiterführende Frage
Wie sensibilisieren wir uns auf die riesige Diversität an Problemstellungen, Angeboten und Wahrnehmungen?
4. VERNETZUNG
Involvierte Stellen, Ämter und Fachpersonen gibt es viele, wenn nicht genug. Die Frage ist also weniger die nach der Menge und Diversität der Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene, sondern mehr nach der Vernetzung und Zusammenarbeit jener. Einen grossen Vorteil bietet dabei die Digitalisierung, also die Möglichkeit, sich ortsunabhängig zu vernetzen. Zum Vernetzen gehört dazu, das Netzwerk auch zu erkennen; Systeme offen und weitsichtig zu betrachten und Synergien zu sehen. Es ist viel Professionalität vorhanden, das Problem der Übergänge ist bekannt, es gibt viele Angebote und es braucht vor allem Kollaboration, um vorwärtszukommen.
Weiterführende Frage
Wie kann die Vernetzung und Kollaboration von Fachpersonen gefördert werden?
5. ÜBERGÄNGE
Konkret in Bezug auf die Übergänge stellte sich klar die Frage der übergreifenden Begleitung. Enge Betreuung im Übergang zwischen Schule und Berufsleben ist oft abhängig von einem stützenden Familiensystem. Die äusseren Systeme wie Schule oder Lehre gehen bei Austritt oder Abbruch oft verloren. Dabei wäre gerade in dieser heiklen Phase ein Coaching, eine Bezugsperson oder ein/e Mentor:in notwendig. In diesem Punkt, dem Kernpunkt, finden sich dann auch alle Erkenntnisbereiche in einer Form wieder;
Übergänge brauchen Zeit und Begleitung
Vulnerable junge Menschen brauchen zusätzliche Unterstützung im Rahmen von Früherkennung
Das Bewusstsein für die Problematik aber auch die Chancen in den Übergängen können und sollen durch Dialog gefördert werden
Dialog entsteht durch Vernetzung. Durch gezielte Vernetzung können Ressourcen aktiviert und Synergien genutzt werden.
Weiterführende Frage
Wie wird die Begleitung der Übergänge finanziert?
Abschliessende Worte
Es ist enorm viel Wissen, Erfahrung, Wohlwollen, Mut und Expertise vorhanden, sei es bei den betroffenen Jugendlichen oder bei den Fachpersonen. Das gezielte Freisetzen von Ressourcen, das Schaffen von Synergien, das Bilden von Netzwerken und das Streuen von Informationen gehört zu den wichtigsten Aktivitäten, die wir beitragen können, um das System zu verbessern. So können wir alle unseren Teil leisten.
Die zwei Anlässe werten wir als Erfolg – primär nicht in den gewonnenen Erkenntnissen aber im stattgefundenen Austausch. Dabei zentral, wie einleitend in diesem Text festgestellt, ist die Kommunikation. Denn «Jede […] Kommunikation hängt vom gegenseitigen Sich-Verstehen-Wollen ab.» (Horst Conen) – und dieser Wille nach gegenseitigem Verständnis ist Grundlage unserer Arbeit.