Schräge Vögel
Schräge Vögel gibt’s auf der Welt zuhauf. Einer der schrägsten war C. Darwin, der hat sich nämlich nebst seinen bedeutenden Arbeiten zur Entstehung der Arten, die meiste Zeit mit Studien über Regenwürmer befasst. Robert Walser attestierte man auch, ein schräger Vogel zu sein. Sehr sogar. Trotzdem wurde er, bevor er seine letzten 23 Jahre in der Psychiatrie verbrachte, einer der berühmtesten Schweizer Schriftsteller.
Dass wir alle selbst in gewissen Bereichen schräge Vögel sind, das merken wir spätestens nach Beginn der Pubertät, wenn uns das Gefühl beschleicht, dass alles an uns etwas seltsam ist und die Probleme, welche uns beschäftigen in dieser Form andere wohl nicht belangen. Weiter verbinden wir in dieser Zeit unsere Besonderheiten nur selten mit positiven Eigenschaften und versuchen uns gleichzeitig gesellschaftliche Normen anzueignen aber auch abzulehnen.
Wir wollen hier schräg aber nicht verwechseln mit einer krankhaften Geltungssucht, welche wir heuer sogar öffentlich US-Amerikanischen Präsidenten attestieren, sondern mit dem wohlwollenden Einverständnis, dass wir alle doch eben über Eigenschaften verfügen, welche uns von allen andern unterscheiden. Primär von allen anderen Menschen, auch wenn Vergleiche mit Tieren durchaus auch über eine gewisse Salonfähigkeit verfügen. (Bei einem genaueren Blick auf die Menschheit ist festzustellen, dass die Aussage, der Mensch stamme vom Affen ab, in erster Linie eine Beleidigung aller Affen darstellt.)
Wer definiert denn, wer oder was ein schräger Vogel ist? Was im Duden zu Vogel steht, müssen wir hier nicht anschauen, zu schräg ist im charakterbezogenen Kontext folgendes zu lesen: „von der Norm, vom Üblichen, Erwarteten abweichend». Interessanter wird es auf der Suche nach Synonymen für den schrägen Vogel im Thesaurus. Da finden wir Begriffe wie «komischer Kauz», «schrille Schraube», «verrücktes Huhn» und «sonderbarer Zeitgenosse».
Mit der Vorstellung, dass es schön wäre ein Vogel zu sein, die Welt von oben zu betrachten und über das wohl unglaubliche Freiheitsgefühl zu verfügen, welche das Fliegen mit Flügeln verleiht, haben sich wohl schon die Neandertaler auseinandergesetzt. Ob schräge Vögel und komische Kauze fliegen können, das wissen wir nicht. Im Falle von Walser und Darwin schaffen sie offenbar zumindest geistige Höhenflüge.
Vielleicht ist ein Pinguin ein schräger Vogel, der kann ja nicht einmal fliegen. Zudem befindet er sich gerne und oft in Schräglage, wenn er Eisschollen runterrutscht. Umgangssprachlich wurden wir bestimmt auch alle schon einmal gefragt, ob wir einen Vogel haben. Im Kopf, nicht etwa in der Handtasche. Ob damit auch ein schräger Vogel gemeint ist, etwa ein verrücktes Huhn, welches zwischen den zwei Trommelfellen auf Körnersuche ist?
Nun scheint zumindest in der Beschreibung, welche im Duden steht, dass in der Anwendung der Redewendung «der/die ist ein schräger Vogel» auf seltsame, normabweichende Charaktereigenschaften Bezug genommen wird. Heisst, unsere Gesellschaft definiert durch wechselnde Trends und Normen dynamisch immer wieder auch von neuem, was oder wer denn genau ein «komischer Kauz» ist. Sind es verrückte Wissenschaftler, egozentrische Präsidenten oder vielleicht sogar die pubertierenden Jugendlichen, welche in ihrem Streben nach Individualismus und ihrem Wunsch nach Abgrenzung von ihren Eltern sich für nichts zu schade sind, um aufzufallen?
Sind Kinder schräge Vögel, da sie sich noch nicht viel aus Werten und Normen unserer Gesellschaft machen und noch mehr dem «Sein» anstatt dem «Haben», dem «Heute» anstatt dem «Morgen» hingeben?
Oder sind am Ende sogar wir die schrägen Vögel, weil wir immer wieder dazu tendieren, Menschen zu kategorisieren, zu verurteilen und zu werten, anstatt sie zu akzeptieren so wie sie und wir sind:
Verrückte Hühner, komische Kauze, bunte Hunde, sture Esel, Hasenfüsse, schlaue Füchse, mutige Löwen, dumme Kühe, tote Fliegen, einsame Wölfe, Affen, Mondkälber, Frechdachse, diebische Elstern, stumme Fische, sture Böcke und eben auch schräge Vögel.